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UNITI-Position: Lebenszyklusanalyse sollte Regulierungsstandard bei der CO₂-Bilanzierung von Fahrzeugen werden

Aktuelle Regulierung lässt reale Klimawirkung von Fahrzeugen außen vor Die klimaschonende Wirkung von Antriebstechnologien und Fahrzeugen hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, wie beispielsweise der CO2-Intensität des zugrunde gelegten Strommixes als Antriebsenergie für batterieelektrische Fahrzeuge, den CO2-Emissionen für die Herstellung der Fahrzeugkomponenten (v.a. Batterieherstellung) oder dem Anteil CO2- neutraler Kraftstoffe bei Einsatz in Verbrennungsmotoren.

 

Die aktuell auf europäischer und damit nationaler Ebene geltende Regulierung im Umweltbereich klammert bis auf die Betrachtung der entstehenden Emissionen bei Nutzung eines Fahrzeugs jedoch sämtliche anderen CO2-Emissionen aus. Die Wissenschaft nennt die alleinige Betrachtung dieser „Auspuffemissionen“ in der Nutzungsphase eines Fahrzeugs Tank-to-Wheel (TTW) Ansatz (CO2-Bilanz „vom Tank bis zum Rad“).

Der Grund für die Ausrichtung der heutigen Regulierung liegt in der historischen Entwicklung der Gesetzgebung hinsichtlich der Verbrauchseffizienz von Fahrzeugen. Ziel war es, die Automobilhersteller mit Effizienzvorgaben dazu zu bringen, dass mit immer weniger Kraftstoff (im Tank) die gleichen Leistungsdaten (Bewegung am Rad) erreicht werden können. In den letzten Jahren wurde aufgrund von Klimaschutzgründen aus dieser Energieeffizienz-Regulierung eine CO2-Bilanzbetrachtung, ohne dass die Bilanzierung am Auspuff als klimapolitisch unzureichend gesehen wurde. Der Schritt, eine gesamtbilanzielle CO2- Betrachtung eines Fahrzeugs in die Regulierung einzubringen, wurde bislang von der EU-Kommission trotz klarer Aufforderung durch das Europäische Parlament ignoriert.

Auch das deutsche Umweltbundesamt merkte bereits im Jahr 2003 kritisch an: „Eine Bewertung der sogenannten ‚Nullemissionsfahrzeuge‘ auf Basis ihres direkten CO2-Ausstoßes ist dann nicht mehr aussagekräftig und auch Mischkonzepte (wie Plug-In Hybride) werden auf dieser Basis nur unzureichend bewertet. Ein Paradigmenwechsel von einer emissionsseitigen (Output-)Bewertung zu einer energieseitigen (Input-)Bewertung ist daher notwendig.“ 

Mit der 2023 vorgenommenen Änderung der Pkw-Flottenregulierung3 wurde die Kommission erneut aufgefordert, eine EU-Methodik bis 2025 zu erarbeiten, um die CO₂-Emissionen während des gesamten Lebenszyklus von in der EU neu in Verkehr gebrachten Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugenbewerten zu können. Dies schließt u. a. auch die von diesen Fahrzeugen verbrauchten Kraftstoffe und den Energieverbrauch insgesamt ein.

Warum eine Lebenszyklus-Analyse klimapolitisch notwendig ist

Eine solche Lebenszyklusanalyse (engl. Life cycle assessment, daher im Folgenden „LCA“) ermöglicht die vollständige Betrachtung der CO2-Bilanz eines Fahrzeugs. Diese Form der CO2- Bemessung kommt bereits bei der Umweltbilanzierung anderer Produkte zum Einsatz. Da CO2 global wirkt, unabhängig vom Ort seiner Entstehung, ist es klimapolitisch entscheidend, bei allen eingesetzten Anwendungen und Produkten deren CO2-Bilanz zu berücksichtigen. Eine verkürzte oder bewusst einseitig gehaltene Bilanzierung blockiert echte Klimaschutz-fortschritte. Die Lebenszyklusanalyse ermöglicht eine realistische Klimaschutzbewertung eines Fahrzeugantriebs, weil sie die CO2-Emissionen in sämtlichen Lebensphasen eines Kraftfahrzeugs erfasst, wie eine aktuelle Studie von Frontier Economics aufzeigt:

• Fahrzeugherstellung („Cradle-to-Gate“): Dies umfasst alle CO2-Emissionen, die während der Herstellung der Komponenten der verschiedenen Antriebssysteme und der Karosserie sowie anderer Fahrzeugkomponenten wie z.B. der Ausstattung der Fahrzeuge (inklusive Batterien bei batterieelektrischen Fahrzeugen) anfallen.

• Energiebereitstellung („Well-to-Tank“): Die CO2-Emissionen der Bereitstellung des benötigten Kraftstoffs bzw. des Ladestroms, inklusive der Vorketten.

• Infrastrukturbereitstellung: Je nach Antriebs- bzw. Kraftstoffart bedarf es an zusätzlicher Infrastruktur (z.B. Ladesäuleninfrastruktur, Aufbau von Synthesekapazitäten für die Herstellung von synthetischen Flüssigkraftstoffen etc.)

• Fahrzeugnutzung („Tank-to-Wheel“): Dies umfasst alle CO2-Emissionen, die während der Nutzung des Fahrzeugs entstehen, in erster Linie die sogenannten Auspuffemissionen.

• Entsorgung bzw. Recycling („End-of-Life“): Die Entsorgung bzw. das Demontieren oder Recycling am Lebensende eines Fahrzeugs erzeugt ggf. CO₂-Emissionen (z.B. auch durch den Einsatz von Strom, wenn dieser noch nicht zu 100% aus erneuerbaren Energien erzeugt wird).

Der Vorteil des LCA ist, dass die Emissionsbilanz von Fahrzeugen damit deutlich realistischer erfasst werden kann und „versteckte“ CO2-Emissionen auch außerhalb der EU sichtbarer werden. So gelten bei dem aktuell in der Regulierung (z. B. in der Flottenregulierung für Neufahrzeuge) geltenden TTW-Ansatz batterie- und brennstoffzellenbasierte elektrische Fahrzeuge grundsätzlich als emissionsfrei, ohne dass es eine Rolle spielt, ob beispielsweise die Herkunft des Ladestroms fossil oder aus erneuerbaren Quellen ist oder wie emissionsintensiv die Batterie hergestellt wurde. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren haben im Tank to Wheel Ansatz jedoch immer einen CO2-Emissionswert. Selbst wenn diese Fahrzeuge mit CO2-armen Kraftstoffen wie fortschrittlichen Biokraftstoffen wie HVO oder CO2-neutralen Kraftstoffen wie E-Fuels betrieben werden.

Mit dem LCA-Ansatz kann zudem vermieden werden, dass fälschlicherweise Technologien gewählt werden, die insgesamt zu höheren CO2-Emissionen führen können und damit klimaschädlicher sind.

Frontier Economics kommt in seiner Studie daher zu folgender Schlussfolgerung: „In der Gesamtschau entspricht die Verwendung eines LCA-Ansatzes zur Erfassung von CO2- Emissionen von Produkten und Technologien dem Stand der Wissenschaft und ist zur Erfassung der Klimawirksamkeit als sachgerecht zu beurteilen.“

Fahrzeugemissionen durch LCA im Vergleich

Eine beispielhafte Berechnung der CO2-Bilanzzweier Antriebsarten von Fahrzeugen (hier Pkw) in der Frontier Economics Studie zeigt zwei entscheidende Tatsachen auf:

1. Die Vorteilhaftigkeit einer Antriebslösung im Hinblick auf die Klimawirksamkeit einer Antriebstechnologie hängt vom Einzelfall ab. Keine Antriebslösung ist per se die vorteilhafteste, sondern es kommt stark auf gewisse Faktoren an, wie beispielsweise der CO2-Abdruck der Herstellung, die Fahrzeuggröße oder die Nutzungsdauer. Je nach Fall kann sich somit ein Fahrzeug mit batterieelektrischem Antrieb oder mit einem Verbrennungsmotor als vorteilhafter bezüglich der CO2-Lebenszyklusemissionen erweisen.

2. Die Lebenszyklusanalyse zeigt klar auf, dass „Nullemissions-Fahrzeuge“ wie batterieelektrische Fahrzeuge eine erhebliche CO2-Bilanz aufweisen, die in der aktuellen Regulierung unberücksichtigt bleibt. Diese Bilanz kann sogar je nach Fahrzeug über der CO2-Lebensbilanz eines Verbrenners liegen, wie folgende Beispielrechnung zeigt:

Forderungen von UNITI

Die europäische Politik und die Bundesregierung sind als Mitgesetzgeber nun aufgefordert, die in der Pkw-Flottenregulierung enthaltene Forderung nach Einführung einer LCA-Methodik gegenüber der EU-Kommission durchzusetzen und möglichst zeitnah für eine realistische Bilanzierungsart der CO2-Emissionen von Fahrzeugen sorgen. Eine geeignete Methode dafür ist die Lebenszyklusanalyse.

Auch aus rechtlichen Gründen ist es angezeigt, regulativ immer eine systematische Analyse der potenziellen Umweltwirkungen und der Energiebilanz von Produkten während des gesamten Lebensweges festzulegen. Die Änderung der Pkw-Flottenregulierung und der ihr zugrunde liegende Tailpipe-Ansatz führt zu einem faktischen Aus von Verbrennungsmotoren und damit einem perspektivischen Aus für nachhaltige, CO2-neutrale Kraftstoffe. Damit widerspricht eine solche Regulierung den in der RED II6 und der RED III7 klar formulierten Zielen einer technologieoffenen Lösungsfindung durch Nutzung erneuerbarer Kraftstoffe und die Nutzung erneuerbarer Elektrizität im Verkehrssektor als gleichberechtigte Technologien (vgl. Erwägungsgrund 85 der RED II und Erwägungsgrund 29 der RED III). Zudem ist eine solche Ausgestaltung der Regulierung auch rechtlich bedenklich und möglicherweise rechtswidrig.

Auch in anderen Regulierungen, wie beispielsweise der Lkw-Flottenregulierung, der EU-Vignettenrichtlinie oder der Taxonomie für nachhaltige Finanzierungen, sollte der Null-emissionsansatz zugunsten einer realistischeren CO2-Bilanzierung weichen. Sonst drohen zur Erreichung der Klimaschutzziele durch fragwürdige und rechtlich bedenkliche Regulierungsgrundlagen einseitige Technologiebevorzugungen, die je nach Herkunft, eine schlechtere Klimaschutzbilanz aufweisen, als andere Technologieoptionen.