Hintergrund der Studie „Flüssige Energieträger im Energiesystem – Status Quo & Perspektiven“
80 Prozent des aktuellen primären Energieverbrauchs - sprich der Energie, die aufgewendet werden muss, um alle Sektoren in Deutschland mit Energie zu versorgen - stammt heute noch aus fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdgas und Mineralöl. Ein Großteil dieser Energieprodukte wird importiert. Mineralölbasierte Produkte kommen insbesondere im Verkehrssektor, aber auch bei der Wärmeversorgung, in der Industrie und im Gewerbe zum Einsatz.
Aufgrund der Klimaziele müssen spätestens 2045 sämtliche in Deutschland gewonnenen und genutzten Energien aus erneuerbaren Quellen stammen. Wind- und Solarenergie gewinnen zunehmend an Bedeutung, sind in Deutschland aber nur begrenzt verfügbar. Wegen der begrenzten heimischen EE-Strompotenziale muss deshalb auch zukünftig Energie aus Drittländern importiert werden. Damit haben Aspekte wie die Herkunft und Verwendung von Energieimporten in fester, flüssiger und gasförmiger Form Eingang in die politische Energiedebatte gefunden.
Prof. Michael Bräuninger, Professor an der Universität Hamburg und Partner des Wirtschaftsforschungsinstituts Economic Trends Research (ETR), analysiert im Auftrag der UNITI die aktuelle und zukünftige Rolle von Flüssigenergieträgern in Deutschland. Seine Studie trägt den Titel „Flüssige Energieträger im Energiesystem - Status Quo & Perspektiven".
Warum flüssige Energieträger global wie national eine wichtige Rolle spielen Mit einem Anteil von fast 30 Prozent ist fossiles Mineralöl der global wichtigste Energieträger zur Deckung des weltweiten Energiebedarfs. Auch in Deutschland basiert mehr als ein Drittel des Energiebedarfs auf fossilem Mineralöl: (siehe Grafik in verlinkter Datei)
Mineralöl kommt in vielen Formen in nahezu allen Endverbrauchssektoren zum Einsatz. Besonders hervorzuheben sind hierbei der Verkehrs- und der Gebäudesektor, in denen raffinierte Mineralprodukte als Kraft- und Brennstoffe zum Einsatz kommen. Doch auch in der Industrie stellt Mineralöl einen unverzichtbaren Teil der Prozesskette dar. Als Grund- oder als Schmierstoff kommen Mineralölprodukte besonders zum Einsatz u. a. in der Chemieindustrie, der Metallverarbeitung und dem Handwerk.
Mineralölprodukte wie Benzin, Diesel oder Kerosin weisen anwendungstechnisch erhebliche Vorteile auf, wenn es um Speicherung und Transport von Energie geht. Ein Grund ist zum einen die sehr hohe Energiedichte dieser Energieträger. Zum anderen können diese Energieträger aufgrund ihrer chemischen und physikalischen Eigenschaften ohne großen Aufwand transportiert und langfristig gespeichert werden. Denn Mineralöl und Mineralölprodukte sind bei Raumdruck- und - temperatur transportabel und lagerbar. Diese gute Transportier- und Speicherbarkeit ermöglicht den weltweiten Handel mit Mineralöl und -produkten aus verschiedenen geografischen Exportregionen. Der globale Markt für flüssige Energieträger basiert somit auf einer Vielzahl von Anbietern. Ein fehlendes Angebot kann physikalisch recht einfach von alternativen Bezugsquellen substituiert werden. Gleichzeitig ermöglicht die Speicherbarkeit eine langfristige und nahezu verlustfreie Bevorratung flüssiger Energieträger und damit ein hohes Maß an Energieunabhängigkeit, wenn externe Effekte das globale Energieangebot verknappen.
So ist in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben, die Mineralölversorgung mind. 90 Tage über eine Bevorratung gewährleisten zu können. Insgesamt belaufen sich die Energiespeicher in Form von Mineralöl und -Produkten auf mindestens 614 TWh, wie folgende Grafik der Studie zu Bevorratungskapazitäten zeigt: (siehe Abbildung 14 in verlinkter Datei)
Dieses Speicherpotenzial kann den Bedarf an Mineralölprodukten ca. 9 Monate decken, falls es zu einem kompletten Angebotswegfall kommen sollte.
Die genannten Eigenschaften flüssiger Energieträger kommen auch in besonderen Situationen wie bspw. Katastrophenfällen zum Tragen, wenn in diesen die Infrastruktur im Bereich der Stromnetze beschädigt ist. Kraftstoffbetriebene Notstromaggregate ermöglichen eine übergangsweise Strombereitstellung für verschiedene überlebenswichtige Anwendungen solange der Wiederaufbau der Stromversorgung andauert. Dies unterstützt die Grundversorgung mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten. Auch der motorisierte Einsatz von Rettungs- und Einsatzkräften und -gerät basiert auf flüssigen Kraftstoffen. In der Studie zeigt Prof. Bräuninger exemplarisch am Beispiel der Ahrtalkatastrophe im Jahr 2021 auf, welchen unverzichtbaren Beitrag flüssige Energieträger bei der Bewältigung von Katastrophen leisten.
Fazit: Flüssige Energieträger sind ein entscheidender Bestandteil des deutschen und des globalen Energiesystems und werden auch in der Zukunft weiterhin benötigt, denn:
• Flüssigenergieträger können von allen Energieträgern am einfachsten transportiert und damit global nutzbar gemacht werden.
• Ihre leichte Handhabbarkeit und ihre hohe Energiedichte prädestiniert sie zudem für die Langzeitbevorratung großer Energiemengen. Sie leisten damit einen entscheidenden Beitrag zur Energieversorgungssicherheit.
• Im Krisenfall sind flüssige Kraft- und Brennstoffe für das Katastrophenmanagement unverzichtbar.
Vorteile erneuerbarer flüssiger Energieträger auch zukünftig nutzen: Stärken beibehalten - Klima und Ressourcen schonen
Das Klimaschutzgesetz Deutschlands sieht vor, dass spätestens 2045 die Klimaneutralität in allen Sektoren Realität ist. Dies bedeutet eine komplette Defossilisierung aller Endverbrauchssektoren und der darin genutzten Anwendungstechnologien und somit in letzter Konsequenz auch die vollständige Ersetzung von Mineralölprodukten beispielsweise durch fortschrittliche Biokraftstoffe und durch CO₂-neutrale flüssige Energieträger wie E-Fuels.
Deren chemische und physikalische Eigenschaften erlauben eine ebenso universelle Anwendung. Die Vorteile flüssiger Energieträger bleiben somit erhalten. Besonders in Bereichen, in denen flüssige Energieträger heute dominieren, scheint eine vollständige Elektrifizierung der Endanwendungen technisch nicht nur äußerst schwierig und rohstoffintensiv, sondern ressourcenökonomisch auch fraglich.
Denn abseits elektrischer Endanwendungen werden große Teile der Sektoren Verkehr, Wärme und Industrie auch zukünftig auf erneuerbare Flüssigenergieträger angewiesen sein. Der Einsatz dieser Energieträger stärkt erheblich die Resilienz des deutschen Energiesystems und sorgt für eine sichere, bezahlbare, akzeptierte und klimaschutzgerechte Energieversorgung.
Der große Vorteil: Die bereits heute vorhandenen Verteil-, Lager- und Bevorratungsinfrastrukturen im Bereich flüssiger Brenn- und Kraftstoffe könnten unverändert für die Nutzung CO₂-neutraler molekülbasierter Energieträger weitergenutzt werden und somit die Transformation hin zur Klimaneutralität stark beschleunigen. Die internationalen PtX-Erzeugungspotenziale erlauben es zudem, den heutigen Bedarf an fossilen Kraft- und Brennstoffen mithilfe von grünem Wasserstoff und recycelten CO₂ (Kohlenstoffkreislauf) erneuerbar zu bedienen.
Die Transformation des Energiesystems kann nur gelingen, wenn das Ziel der Klimaneutralität mit den Aspekten der Versorgungssicherheit, der Bezahlbarkeit und der Akzeptanz in der Bevölkerung in Einklang gebracht wird. Diese für die Energiewende maßgeblichen Erfolgskriterien sind erfüllbar, wenn das zukünftige Energiesystem die Nutzung verschiedener erneuerbar erzeugter Energieträger sowohl aus heimischer Herstellung als auch aus Importen vorsieht. Während national erneuerbar erzeugter Strom für bestimmte Endanwendungen sinnvoll ist, können erneuerbar, international hergestellte CO₂-neutrale Flüssigenergieträger wie E-Fuels eine zielführende Lösung für andere Endanwendungen sein. Zum Teil sind sie technologisch sogar unverzichtbar.
Es gilt daher, den Hochlauf flüssiger synthetischer Energieprodukte auf vielfältige Art und Weise zu unterstützen, anzuregen und zu fördern:
• Erneuerbare Flüssigenergieträger sollten als fester Bestandteil der Energiewende anerkannt werden.
• Politische Rahmenbedingungen müssen technologieoffen unter Einbeziehung aller klimazielkonformen Lösungsoptionen ausgestaltet werden
• Für alle Technologien zur Defossilisierung des Verkehrs-, Industrie- und des Wärmesektors müssen passenden regulatorische Rahmenbedingungen gelten. Dazu gehört eine CO₂- Bilanzierungsmethode in allen Sektoren, die u. a. die Produktion, den Transport und die Verfügbarmachung der genutzten Erneuerbaren Energien in der Anwendungstechnologie sowie die Produktion und Endverwertung der Technologie selbst berücksichtigt.
• Internationale Energiepartnerschaften müssen weiter ausgebaut werden, wobei langfristige Investitionsanreize gesetzt werden müssen. Große Erneuerbare Energien-Potenziale sind damit erschließbar.
• Die Kriterien für Wasserstoff und dessen Derivate müssen so ausgestaltet werden, dass global produzierte synthetische Energieträger in Europa anerkannt und genutzt werden können. Damit werden neue Wertschöpfungsketten mit nachhaltigen volkswirtschaftlichen Effekten in den Ländern mit hohen Erneuerbaren Energien-Potenzialen geschaffen.
• Investitionen in Erzeugungsanlagen für einen globalen Produktionshochlauf sollten regulativ durch breite Anwendungsmöglichkeiten von synthetischen Energieprodukten in verschiedenen Sektoren angereizt werden. Mengenquoten können hier einen Beitrag leisten.
• Die Besteuerung von Kraftstoffen sollte konsequent auf eine CO₂-Bepreisung umgestellt werden. Synthetische Kraftstoffe würden bei einem einheitlichen Steuersatz aufgrund ihrer CO₂- Neutralität geringer besteuert und wären wettbewerbsfähiger.
• Anreize für deutsche Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau als weltweit gefragte Technologiepartner setzen, damit diese neben der heimischen Nutzung ihrer Industrieprodukte auch auf die globale Nachfrage von Klimaschutztechnologien „Made in Germany" reagieren können.