Thema 7

Import synthetischer Energieträger als Chance für eine neue und bessere Energieaußenpolitik

Zeitgleich mit der aktuellen Neuausrichtung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik aufgrund des Ukraine‑Krieges ist eine Debatte um die zukünftige Energieversorgungssicherheit und den Umgang mit Energieimporten gestartet.

Denn Deutschland ist im besonderen Maße vom Import von Energieträgern abhängig. Dies zeigen die beiden folgenden Grafiken:

  1. Der Energiebedarf Deutschlands steigt seit Jahren.
  2. Der Energiebedarf von Deutschland wurde 2020 zu 71 Prozent von Energieimporten gedeckt.
Deutschlands Abhängigkeit von Energieimporten Energie-Importabhängigkeit Deutschlands im Jahre 2020 in Megatonnen


Nach aktuellen Bekundungen aus den Reihen der Bundesregierung sollen Abhängigkeiten nun verringert und der Anteil Erneuerbarer Energien in ihren verschiedensten Formen deutlich gesteigert werden: „Je schneller wir den Ausbau erneuerbarer Energieträger vorantreiben, desto besser“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung am 27.02.2022 im Deutschen Bundestag.

Eine höhere Dynamik bei der Umsetzung der nationalen Energiewende ist ebenso wünschenswert wie herausfordernd:

  • So machen im deutschen Energiemix Energien aus regenerativen Quellen, vor allem Windstrom an Land und Photovoltaik, derzeit zwar gut 45 Prozent an der Stromerzeugung aus, in Betrachtung des Gesamtenergieverbrauchs, also einschließlich aller Sektoren, kommt Grünstrom aber nicht über 8,6 Prozent am Endenergieverbrauch hinaus.
  • Momentane Pläne der Bundesregierung gehen von einem deutlich höheren Strombedarf in den kommenden Jahrzehnten aus:
    • Derzeitiger Strombedarf in 2021: 560 TWh
    • BMWI-Prognose für 2030 im November 2021: 658 TWh¹
    • BMWK-Prognose für 2030 im Januar 2022: 680 bis 750 TWh²
    • Entwurf EEG 2023 im April 2022: 750 TWh³

Eine Maximalauslastung von EE‑Anlagen hängt neben den Wetterbedingungen auch maßgeblich von der vorherrschenden Sonnen- und Windintensität ab:

Worldwide solar irradiation map

Die Karte zeigt: Nord‑/Mitteleuropa weisen mit die geringsten Solar‑Intensitäten zur Sonnenstromerzeugung aus. Andere globale Standorte sind als PV‑Gestehungsort deutlich besser geeignet. Zum Beispiel weisen Regionen der Südhalbkugel und in Äquatornähe hohe Sonnenintensitäten auf.

So erzeugt eine Solaranlage an einem durchschnittlichen Standort in Deutschland nur rund 40 Prozent der Strommenge pro Jahr, die eine vergleichbare Anlage in Nordafrika produziert. Mit PV‑Systemen als auch solarthermischen Kraftwerken auf einer Wüstenfläche von etwa 150 km × 150 km in Nordafrika könnte eine Strommenge erzeugt werden, die bilanziell den heutigen deutschen Primärenergiebedarf deckt.

Mit dem gleichen System auf einer Wüstenfläche von etwa 1.000 km mal 1.000 km in Nordafrika könnte eine Strommenge erzeugt werden, die bilanziell den heutigen weltweiten Primärenergiebedarf deckt.

Bei der Nutzung von Windstrom-Standorten sieht es global so aus:

  • Langfristprognosen für 2050 gehen davon aus, dass im Jahr 2050 der Netto‑Endenergiebedarf in Deutschland bei 2.000 TWh liegen wird. Um diesen CO₂‑neutral decken zu können, werden 1.780 TWh Strom (brutto) aus regenerativen Quellen benötigt.⁴
PtX-global-Atlas

Die Herausforderung liegt darin, dass der Bedarf nach Erneuerbaren Energien in Industrienationen wie Deutschland besonders hoch ist, aber das Potenzial zur EE‑Erzeugung in Form von Strom aufgrund der Bevölkerungsdichte, von Flächenrestriktionen, der geografischen Lage und der meteorologischen Bedingungen niedrig ist. In Deutschland ist zudem die saisonale Verteilung besonders ungünstig. Der Grünstromanteil ist im Sommer hoch, aber nicht im Winter, wo der Bedarf groß ist.

Das heimische Ausbaupotential für Wind- und Sonnenenergie wird aus diesen Gründen nicht ausreichen, um die zukünftigen Energiebedarfe aus erneuerbaren Quellen decken zu können: Berechnungen des Fraunhofer IEE gehen davon aus, dass im Jahr 2050 hierzulande brutto rund 900 TWh grünen Stroms erzeugt werden können. Die Differenz von 880 TWh (brutto) zur Deckung des Strombedarfs muss aus dem Ausland importiert werden.⁵

Das bedeutet:

Fast 50 Prozent der benötigten Bruttostrommenge wird aus Importen stammen müssen. Deutschland braucht daher eine Importstrategie für Erneuerbare Energien in allen Formen, wie Strom, Gas und flüssigen Energieträgern.

Neben dem massiven Ausbau heimischer Grünstromerzeugung und dem Aufbau einer Wasserstofferzeugungs-und -verteilinfrastruktur, richten sich Blicke der Politik spätestens seit der Nationalen Wasserstoffstrategie in 2020 verstärkt auf die Erzeugungspotentiale globaler Standorte. Diese verfügen im Vergleich zu Deutschland/Nordeuropa über deutlich günstigere Grünstromproduktionsbedingungen. So hat sich Bundesfinanzminister Christian Lindner öffentlich bereits Ende Februar ausgesprochen, u. a. „aus anderen Weltregionen Energieträger zu importieren, z. B. Wasserstoff oder synthetische Flüssigkraftstoffe“⁶.

Anders als Europa besitzen internationale Standorte zur Energiegewinnung ein enormes Flächennutzungspotential. So gehen Forscher des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) in aktuellen Untersuchungen davon aus, dass sich außerhalb Europas langfristig insgesamt etwa 109.000 Terawattstunden flüssigen grünen Wasserstoff beziehungsweise 87.000 Terawattstunden synthetische Kraft- und Brennstoffe (Power to Liquids, kurz PtL) herstellen ließen.⁷ Dafür wurden technische und ökonomische Potentiale in den Regionen untersucht auf Grundlage u. a. der Flächenverfügbarkeit und der Wetterbedingungen.

Synthetische, mit grünem Wasserstoff hergestellte Brenn- und Kraftstoffe (in gasförmiger oder flüssiger Form als Produkte von Power-to-X-Erzeugungsprozessen) können herkömmliche fossile Energieträger in Industrie, Verkehr und anderen Bereichen vollständig ersetzen.

Fraunhofer IEE schätzt das wirtschaftlich darstellbare Potenzial dieser CO₂‑neutralen Brenn- und Kraftstoffe auf 69.100 Terawattstunden Wasserstoff beziehungsweise 57.000 Terawattstunden PtL. Zum Vergleich: Für die globale Luftfahrt werden 2050 insgesamt mindestens 6.700 Terawattstunden, für den weltweiten Schiffsverkehr 4.500 Terawattstunden PtL benötigt.

Der Standortvorteil dieser PtX‑Regionen ergibt sich u. a. aus der hohen Zahl an Volllaststunden auf Grundlage regenerativer Quellen (idealerweise Kombination aus Wind und Sonne). Diese Standorte können eine hohe Auslastung von EE‑Anlagen gewährleisten, was deutlich höhere Grünstromerträge, damit geringere EE‑Gestehungskosten und im Ergebnis günstigere PtX‑Kosten bedeutet.

Worldwide wind speed map

Die Nordeuropäische Küste weist eine hohe Wind‑Intensität zur Grünstromerzeugung auf. Im Vergleich zu den riesigen globalen Flächenpotenzialen sind die nutzbaren Flächen hier jedoch sehr klein.

Die Power‑to‑X‑Technologie ist die Antwort auf die Herausforderung, dass Grünstrom selbst nur schwer gespeichert und nur sehr eingeschränkt über weite Strecken transportiert werden kann.

Bei PtX‑Anlagen handelt es sich um technisch bereits vorhandene und industriell skalierbare Lösungen, die Grünstrom zu einem flüssigen oder gasförmigen chemischen Energieträger wandeln können. Notwendig dafür ist die Elektrolyse von Wasser zur Gewinnung von Wasserstoff und die Synthetisierung dieses Wasserstoffs zu einem flüssigen (Power‑to‑Liquid, PtL) oder gasförmigen (Power‑to‑Gas, PtG) Produkt.

An idealen Standorten zur Nutzung von Grünstrom aus erneuerbaren Quellen erzeugt synthetische, CO₂‑neutrale Energieträger eignen sich als perfekte Energiespeicher sowie in flüssiger Form als besonders leicht zu transportierende Energieimportprodukte:

  • Die im globalen Maßstab quasi unbegrenzt verfügbaren Erneuerbaren Energien können auf diese Weise transportfähig, speicherbar und ortsunabhängig verfügbar gemacht werden.
  • Mit PtL bestünde logistisch eine besonders leicht umzusetzende Option, global gewonnenen Grünstrom zu importieren.
    • PtL ist bei Raumdruck und -temperatur lagerbar und transportabel.
    • Energie- und kostenaufwändige Zwischenschritte für den Transport wie bei Gasen entfallen.
    • Als Kraftstoffe (E-Fuels) können synthetische Flüssigenergieträger direkt in sämtlichen Verkehrsmitteln und Sonderfahrzeugen mit Verbrennungsmotor genutzt werden, ohne dass technische Anpassungen daran vorgenommen werden müssten. Ebenso können sie in allen Wärmesystemen mit flüssigen Brennstoffen eingesetzt werden.

Die PtX‑Technologie ist damit eine der Schlüsseltechnologien eines klimaneutralen Energiesystems der Zukunft. Denn der Industriesektor und andere Wirtschaftsbereiche, wie u. a. der Energie-, Verkehr- und Wärmesektor, haben zukünftig einen hohen Bedarf an Energie aus erneuerbaren Quellen in verschiedenen Formen, wie Strom, Gas und Flüssigenergieträgern.

Durch die breite Nutzung dieser regenerativen Energieformen/Energieträger kann eine Abkehr von der Verwendung von Energie aus fossilen Quellen und der damit verbundenen Freisetzung von klimaschädlichem Treibhausgasen gelingen.

Die eFuel‑Alliance geht in einer aktuellen Pressemitteilung davon aus, dass erneuerbare Kraftstoffe bis zu 70 Prozent des russischen Rohölimports bis 2030 ersetzen könnten (Stellungnahme).

Synthetische Energieträger aus globalen Erzeugungsstandorten können damit einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung der Energieversorgungssicherheit in Deutschland und Europa leisten sowie helfen, einseitige Abhängigkeiten zu minimieren und die Klimaschutzziele zu erreichen.

Es gilt, die regulativen Rahmenbedingungen in der EU und im Bund entsprechend anzupassen und die Förderung von außereuropäischen Energieprojekten in Form von Energiepartnerschaften sowie die Schaffung von Investitionsanreizen für global installierte EE- und PtX‑Erzeugungsanlagen anzugehen. Eine politische Debatte „entweder Elektron oder Moleküle“ ist kontraproduktiv, denn aufgrund des absehbaren Endenergiebedarfs ist ein „sowohl als auch“ notwendig.

Es sollte der wirtschafts-/industriepolitische Anspruch Deutschlands werden, im Wettbewerb mit anderen Ländern Technologieführer bei Wasserstofferzeugungs- und Anwendungstechnologien zu werden. Deutschland hat die besten Voraussetzungen, als Lieferant von PtX‑Erzeugungs- und Umwandlungstechnologien sowie in der Projektentwicklung und im Anlagenbau globaler Technologielieferant zu werden.

UNITI fordert

Importierte synthetische Energieträger als Grundpfeiler der Energiewende anerkennen und deren Markthochlauf unterstützen!